Die Notwendigkeit grundlegender Demokratiereformen ergibt sich vor dem Hintergrund eines immer deutlicher werdenden Demokratieversagens.
Auch wenn die herkömmliche Demokratie unbestritten die beste aller bisherigen Staatsformen ist, bleibt sie doch hinter den wachsenden Anforderungen an die politische Problemlösungsfähigkeit schon jetzt weit zurück. Dieser Befund ist auf den "verbundenen Websites" ausführlich dargegestellt, so auf www.parteien-stop.de speziell als Versagen des demokratischen Parteienstaates.
Um die Aufmerksamkeit auf die Schwächen der Parteiendemokratie zu lenken, ist allerdings nicht weniger als ein Paradigmenwechsel vonnöten. S. hierzu nachfolgenden Text.

bzw. die folgende Kurzversion

Als Einführungstext s. auch:

Paradigmenstreit zur Demokratie: Welche Erwartungen an die Politik sind legitim, welche sind geboten?

Zwei geschlossene Gedankenwelten zum Parteienstaat, vorerst unvereinbar

Mit der Frage, was man von der Politik erwarten sollte, machen die meisten Bürger es sich noch immer leicht. Wer einer Partei angehört, wer mit einer Partei sympathisiert oder eine Partei wählt, für den markieren die politischen Absichten dieser Partei den Erwartungshorizont. Insoweit die Partei tut, was sie zu tun verspricht, sind die Erwartungen dieser Bürger im Großen und Ganzen erfüllt. Auch wer so denkt, muss Reformen der Parteiendemokratie nicht für ausgeschlossen halten, wird aber immer auf hinreichende Reformimpulse aus den Parteien heraus vertrauen, angestoßen z.B. durch den Wechsel politischer Mehrheiten, die Auswechselung von politischem Personal, durch neu zu gründende Parteien oder auch mit etwas Anschubhilfe der so genannten Zivilgesellschaft. Ohne für diese Bejahung des Parteienstaates einen Ewigkeitsanspruch zu stellen, nehmen die meisten Bürger sie doch noch als für die absehbare Zukunft gültige Prämisse. Weitergehenden Reformbedarf an der politischen Ordnung würden sie wohl mindestens für das nächste Viertel- bis halbe Jahrhundert ausschließen.

Man kann aber natürlich auch viel skeptischer sein und den Parteienstaat für reformunfähig und für unzeitgemäß halten. Man kann überzeugt sein, dass die Zeit schon reif ist für Besseres als die Parteiendemokratie und ihre suprastaatlichen Auswüchse. Wer so denkt, wird sich mit etablierten, aber auch mit neu gegründeten und zu gründenden Parteien nur noch am Rande befassen, so mit den immer wieder rasch verglühenden rechtspopulistischen. An neu gegründeten Parteien interessieren aus dieser Sicht vor allem die Ursachen ihres systematischen Scheiterns, wozu auch die Entwicklung hin zur normalen etablierten Partei gehört.

Diese beiden Denkweisen erzeugen natürlich völlig unterschiedliche Perspektiven zum politischen Geschehen. Was aus der einen Perspektive allerhöchste Aufmerksamkeit erfordert, ist aus der anderen Perspektive von untergeordnetem Interesse. Die Einen gehen auf in den politischen Auseinandersetzungen, wie sie üblicherweise im Rahmen der Parteiendemokratie geführt werden, und weisen Weitergehendes als praxisfern und utopisch von sich. Für die Anderen dagegen geht es bei den üblichen Auseinandersetzungen innerhalb der Parteiendemokratie zumeist um Geringfügigkeiten. Dies ergibt sich daraus, dass die Parteien sich in ihrer Problemlösungskompetenz in der Regel wenig unterscheiden.

Bei beiden Gedankenwelten handelt es sich, wissenschaftstheoretisch gesprochen, um inkommensurable Paradigmen, deren Gegensätze sich argumentativ nicht ausräumen lassen. Welche dieser Positionen richtig ist, könnte letztlich nur empirisch, d.h. durch beobachtete Tatsachen geklärt werden. Die Tatsachenlage erlaubt aber vorerst noch jedem eine Deutung im Rahmen des eigenen Paradigmas. Die Kritiker des Parteienstaates können darauf verweisen, dass dieser vor allem langfristige politische Probleme immer wieder zu spät, zu unentschlossen, zu dilettantisch und grob fahrlässig behandelt, was auch offensichtlich sei. Seine Anhänger können entgegnen, dass die Möglichkeit einer besseren Politik nicht bewiesen ist und in absehbarer Zukunft auch nicht beweisbar sein werde. Mit reiner Empirie ist daher keinem der beiden Paradigmen beizukommen. Welchem die politische Praxis folgen sollte, wird irgendwann nach Plausibilität zu entscheiden sein.

Eine mögliche Konsequenz hieraus ist, abzuwarten, ob z.B. das nächste Viertel- oder halbe Jahrhundert genügend neue Indizien schafft, um die Plausibilität des einen oder anderen Paradigmas entscheidend zu schwächen. Wenn irgendwann die Indizienlage erdrückend erscheinen sollte, kann die Nachwelt dann fundiert entscheiden. Bis dahin bliebe das politische Handeln vollkommen vom parteienstaatlichen Paradigma beherrscht, das im Dienst der etablierten Interessen steht. Dies ist in der Tat der höchst wahrscheinliche Gang der Dinge.

Es ist aber auch ein höchst gefährlicher. Ein politisches Paradigma, das etablierten Interessen dient, gerät nicht durch einzelne Enttäuschungen, nicht durch einzelne akute und auch schwerlich durch schleichende Krisen ins Wanken. Es weicht allenfalls politischen Katastrophen. Untätig abzuwarten, ob das Paradigma Parteiendemokratie irgendwann von erdrückenden Indizien verdrängt wird, birgt daher ein hohes politisches Katastrophenrisiko. Es wäre also grober politischer Leichtsinn. Das Bereithalten praxisreifer Alternativen dagegen, des neokratischen Paradigmas einer sich wandelnden Demokratie vor allem, ist also nicht weniger als ein Akt politischer Katastrophenvorsorge. Es ist ein Gebot vorausschauender Vernunft, sich alsbald mit beiden Paradigmen gleichermaßen intensiv zu befassen.

Dennoch wird natürlich die öffentliche Meinung vorerst weiter vom Paradigma der Parteiendemokratie beherrscht bleiben, und zwar bis in jene zivilgesellschaftlichen Initiativen hinein, die das politische Alltagsgeschehen kritisch begleiten. Zwischen beiden Paradigmen steht allerdings schon jetzt jener große Anteil von Bürgern, die der Parteiendemokratie mit diffusem Unbehagen oder ratloser Gleichgültigkeit gegenüberstehen. Deren Politikmüdigkeit könnte Vorbote einer wachsenden Bereitschaft sein, selbst eingefahrene Paradigmen wie das der Parteiendemokratie in Frage zu stellen. Insofern könnte die Zeit, in der der Parteienstaat sich im öffentlichen Diskurs noch unangefochten fühlen kann, doch unerwartet schnell zu Ende gehen. Gut wäre dies, aber zeitlich abschätzbar ist es noch nicht.

03 – 2013
www.neopolis.info

Der folgende Aufsatz von 1996 zeigt, wie wenig Bewusstseinsfortschritt es im Umgang mit der politischen Systemfrage in den zurückliegenden Jahrzehnten gegeben hat.

Weiterführend: